Sgt. Kuntz hat geschrieben:Hugin hat geschrieben:Ich glaube, wenn man drüber diskutiert, OB der Grunge dem Metal (bzw. "vielen US-Metal-Bands") den Garaus gemacht hat, dann muss man sich ehrlicher Weise zuerst die Frage beantworten, WIE er das denn gemacht haben soll. Es gibt durchaus so einige Gründe, warum eine Band das Handtuch werfen kann, aber ich finde ganz ehrlich keinen einzigen, den man (allein oder zumindest maßgeblich) der Existenz oder dem Erfolg eines anderen Stils anlasten könnte.
Man sollte auch auf keinen Fall vergessen, dass sehr viele Bands, die Anfang der Neunziger verschwanden, ca. Mitte der Achtziger gegründet wurden. Die Musiker waren damals dann meistens zwischen 16 und 21 hatten Energie, Zeit und keine Verpflichtungen. Sechs, sieben, acht Jahre später gingen sie auf die 30 zu, hatten einen Job, eine Frau, vielleicht Kinder, Verpflichtungen und dafür keine Zeit und keine überschüssige Energie mehr. Dazu wurde klar, dass der Rockstar-Traum nicht so ganz klappt, und dass es vielleicht doch besser und ernährender ist, morgens ausgeschlafen in die Fabrik zu gehen, statt sich die Nächte im Proberaum oder in Clubs um die Ohren zu hauen. Das mag auch ein Grund sein, warum viele alte und verschollene Bands es jetzt noch mal versuchen: Das Leben ist geordnet, man hat seinen festen Job, die Kinder sind aus dem Gröbsten raus und man sucht ein Hobby, das jetzt nicht mehr ernähren, sondern nur noch Spaß machen muss. Dann ist man jetzt auch zufrieden, wenn man eine Eigenpressung verticken kann, die vielleicht ein kleines Label lizenziert, mal auf ein cooles Festival eingeladen wird, und ansonsten weiter seinem Job nachgeht und für seine Familie da ist.
Und wenn kommerzieller Misserfolg, fehlender Labelsupport usw... ein Grund sein sollen, das Handtuch zu werfen, dann fragt doch Anvil warum sie noch aktiv sind und warum der Grunge sie nicht getötet hat. Ich würde schätzen, weil sie einfach eine Überzeugung, ein Ziel und Durchhaltevermögen hatten. Wenn andere das nicht haben, dann mag vieles schuld sein, aber nicht andere Stile, Musiker, Bands, Labels oder Zielgruppen. Ein Künstler mit Vision braucht keine Anhänger. Er macht sein Zeug notfalls für sich alleine.
Zusammenfassend glaube ich, dass es albern ist, zu behaupten, dass der Grunge diese oder jene Band gekillt habe. Wenn eine Band baden geht, dann deshalb, weil die maßgeblichen Mitglieder es nicht mehr auf die Reihe kriegen. Verschuldet oder unverschuldet, ihnen ist der Spaß an der Musik oder die Energie sie zu machen verloren gegangen. Das auf andere Bands und Stile zu schieben ist unangebrachtes Märtyrer-Gehabe. Das einzige was der Grunge zerstört hat, ist die Dominanz des Heavy Metals in der medialen Wahrnehmung der Rockmusik. Dafür hat dann der Crossover den Grunge, der Nu Metal den Crossover, und der Metalcore den Nu Metal getötet. Demnächst tötet dann der Pagan-Humppa-Folk-Metal den Metalcore und alles ist wieder gut.
Deine Argumentation wäre richtig, wenn es nur EINE Generation von Metal-Musikern gab, die alle im gleichen Alter waren und alle Mitte der 80er anfingen oder schon etabliert waren. Die danach kommenden, jüngeren Bands, die vielleicht es Ende der 80er probiert haben, aber die keiner mehr wollte, blendest du einfach aus.
Warum reduzierst du eigentlich meinen Beitrag auf den Absatz Nummer 2?
Ich hab gar nichts ausgeblendet, sondern viele verschiedene Gründe genannt, warum eine Band das Handtuch werfen kann, die alle nichts mit Grunge zu tun haben. Einer davon ist der, auf den du dich jetzt beziehst und dann tust du so, als würde ich den als alleinigen Grund aufbauschen. Hab ich nicht getan. War nur ein Beispiel, wie wenig der Misserfolg und das Dahinscheiden einer begnadeten Kapelle mit dem Grunge zu tun haben kann.
Letztlich halte ich es einfach für falsch, einen anderen Stil und die Reaktion der Medien und Fans auf diesen dafür verantwortlich zu machen, dass Band XY das Handtuch wirft. Wenn sie an ihr Ding glaubt und es wirklich mit Herzblut verfolgt, dann zieht sie es durch, ganz egal, ob sie 20 Demos verkauft oder 10.000 Scheiben. Wenn sie auf kommerziellen Erfolg aus ist, dann wirft sie das Handtuch. Schön. Es hatten auch aus der NWoBHM, zur absoluten Hochzeit des Metals, Dutzende von Bands NULL KOMMA NULL Erfolg und waren nach zwei Jahren wieder weg. Wer hat die getötet? Iron Maiden? Nein! Sie haben sich einfach selbst getötet, weil sie davon enttäuscht waren, dass sich ihr Rockstar-Traum nicht erfüllt hat, oder weil ihnen andere Dinge wichtiger geworden sind. Simple as that! Wäre ihnen ihre Mucke wichtig gewesen, dann hätten sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiter gemacht. Haben sie aber nicht, weil sie andere Prioritäten hatten.
Kommen wir zurück zu deinen jungen Bands vom Ende der Achtiziger und vom Anfang der Neunziger. Sie fangen an. Aus welchem Grund? Es gibt im Wesentlichen zwei Möglichkeiten (die sich auch kombinieren lassen):
1. Sie haben Spaß an ihrer Mucke und wollen einfach ihr Ding durchziehen.
2. Sie wollen Profimusiker oder gar Rockstars werden und von der Musik leben können.
Im Fall 1) juckt sie nicht, was angesagt ist, sondern sie machen, worauf sie abfahren. Im Fall 2) haben sie ein Ohr am Puls der Zeit und spielen Sleaze Rock oder Thrash Metal. Dann kommt der böse, böse, böse Grunge und zieht kommerzielles Potential von den traditionellen Metal- und Rockstilen ab:
Bands vom Typ 1) kann das egal sein, sie machen weiter das, worauf sie Bock haben, und wenn ihnen einige Grunge-Bands gefallen, dann lassen sie sich vielleicht davon beeinflussen.
Bands vom Typ 2) haben dann natürlich ein Problem, weil sie mit ihrem bisherigen Stil nicht von der Mucke leben können und ihnen einen Stilwechsel keiner abnimmt. Schade auch. Also sind es die Bands, DIE DER GRUNGE GETÖTET HAT!? Nein, das sind die Bands, die getötet wurden, weil sie erwartet haben, dass ihnen die Welt den Gefallen tut in Sachen Trends und Hypes zu stagnieren und ihnen so den immerwährenden Lebensunterhalt zu garantieren.
Kurz gesagt: Wenn man unabhängiger Künstler sein will, muss man machen, was man selber gut findet und vom kommerziellen Erfolg unabhängig sein. Deshalb sortiert Fenriz bei der norwegischen Post die Briefe und deshalb fährt Lips in Kanada Essen aus. Dann ist man auch von Trends unabhängig. Wenn man von der "Kunst" leben will, dann muss man Kunsthandwerker sein und das abliefern, was die Leute hören wollen. Man kann nicht erwarten, dass die Welt seine Kunst kauft, um ihn zu ernähren, obwohl sie auf was anderes steht.
Der Künstler, der von seiner "unabhängigen Kunst" leben kann, der hat eben seltenes Glück gehabt, doch das ist meist nur ein sehr vergängliches Glück, weil die Welt eben im ständigen Wandel ist und Trends kommen und gehen wie die Jahreszeiten. Daran sind aber nicht andere Künstler oder Strömungen "schuld", sondern das ist das Leben. Die Welt ist im Wandel, nichts bleibt gleich. Es ist einfach Schicksal, dass nicht jede Band von der Mucke leben kann, die sie liebt. Daran ist niemand schuld.