von dawnrider » 22. März 2016, 20:30
So, und – wenn ich die Regeln richtig verstanden habe – nun zu meiner Scheibe.
Seit einiger Zeit mache ich mir Gedanken, welches Album ich Euch hier präsentieren soll. Es sollte schlichtweg ein für mich perfektes Album sein.
Ich will mir Mühe geben, und möglichst wenig Klischees bedienen. Es macht wenig Sinn, wenn ich mich über Priest oder Manowar auslasse – was hoffentlich auch niemand erwartet hat. Ebenso habe ich im Moment nicht das Verlangen, ein aktuelles Album in den Raum zu stellen – und bezüglich meiner 2015er-Scheiben bin ich schon genug in mich gegangen.
Was erwarte ich von einem Album? Was macht eine CD fĂĽr mich perfekt?
Zu allererst übermenschlicher, Maßstäbe setzender Gesang. Ich bin und bleibe eine Gesangshure allererster Güte. Natürlich gibt es eine große Anzahl an Bands und Alben, die bei mir Gottstatus haben, obwohl der jeweils tätige Vokalist diese Kriterien nicht erfüllt – aber in der Regel verbunden mit Anlaufschwierigkeiten. Darüber hinaus liebe ich es, wenn eine Band eine eigenständige Atmosphäre erschafft, in der ich mich suhlen kann. Das alles gerne bei mittlerem Härtegrad. Unter diesen Voraussetzungen dürfte man es bei mir am liebsten haben.
Lange Rede, kurzer Sinn: ich will heute auf „Beyond Twilight – The Devil’s Hall Of Fame“ eingehen. Nach fast 15 Jahren muss ich dieser Scheibe den Klassiker-Stempel aufdrücken. Weshalb? Darum soll es jetzt gehen.
1. Hellfire
Bereits nach dem Intro – wenn ich den Text recht interpretiere, Hackt der Protagonist sein eigenes Gehirn, welches durch fremdgesteuerte Implantate beeinflusst und gleichgeschaltet wird. Er will aus dieser Fremdbestimmung, die sich für ihn wie das Fegefeuer anfühlt, ausbrechen – strömt der absolut ureigene Sound aus den Boxen. Weit vorne stehende, flächige Keyboardsounds, fast schon doomig anmutendes, schleppendes Drumming und spärlich eingesetzte, tiefe Gitarren – plus kurze, verspielte Progeinschübe an den passenden Stellen. Darüber thront ein unglaublich vielseitiger Jorn Lande – den ich nie so kraftvoll und facettenreich wie auf dieser Scheibe gehört habe. Ich weiß, dass er eine Zeit lang zu präsent war und an jeder Ecke sang, aber das war 2001 noch nicht der Fall. Nebenbei: Jorn hat diesen Song auf einem Soloalbum nochmal verbraten, beim direkten Vergleich fällt unmittelbar auf, was Beyond Twilight so gut gemacht hat. Die dystopische Stimmung fehlt nahezu komplett, der fiese Gitarrengroove wird nicht ansatzweise getroffen – und dem Gesang geht die morbide Facette der ursprünglichen Aufnahme ab.
2. Godless And Wicked
Es wird verzweifelter und kälter. Der Protagonist erkennt die gefühllosen, manipulierten Menschen um sich, empfindet diese als – wer hätte es gedacht – gottlos und böse. Sein Blick auf die Realität beginnt sich scheinbar zu klären. Oder Finn Zierler wurde einfach nur von einer Ische verlassen – spielt auch keine Rolle. Sehr variables Drumming, weniger doomig, und erneut dominiert von den vielleicht besten Keyboards, die ich kenne. Zierler frickelt nicht, er will keinen Töne-pro-Sekunde-Rekord brechen – und vor allem: er legt unheimlich Wert auf seine Sounds. Es wird gar nicht erst versucht, Instrumente zu imitieren, er gehört nicht zu den Keyboardern, die gerne Geiger oder Flötist wären, es aber nicht geschafft haben. Wenn Keys im Metal, dann so!
3. Shadowland
Der Hit des Albums, der größte Song der Band – und eine der verfickt perfektesten Kompositionen, die ich jemals gehört habe. Eine musikalische Supernova. Ein herrliches, melancholisches Hauptthema eröffnet den Song, die Stimmung bricht abrupt ins Stockdunkle, Lande heult sich wie ein angeschossener Wolf durch die erste Strophe, hat Kraft in seiner Stimme wie niemals zuvor oder danach. Dann kommt die wunderschöne Bridge, die das Hauptthema wieder aufnimmt, und von einem Refrain abgelöst wird, der mir die Augen feucht macht. Eine so erhabene Melodie, so einfühlsam gesungen, das ist wärmstes Licht! Ob und wie der Song inhaltlich in das Konzept einzusortieren ist, kann ich nicht sagen. Der Text ist von wunderschönen Metaphern durchzogen, die ich nicht deuten möchte. Drifting on a river blue, I'll sail my ship forever, Let me live the dream I carry, Don't wake me from my sleep – wenn man so aus dem Land der Schatten entkommen kann, soll es mir recht sein.
4. The Devil’s Waltz
Dass nach dieser Übermacht erst einmal ein Instrumentalstück die Seele beruhigt, ist goldrichtig. Der Drummer darf ein paar Taktwechsel einstreuen, und Anders Kragh, der mit seiner Gitarrenarbeit bislang nur songdienlich agierte, darf ein wenig fiedeln. Zweieinhalb Minuten zum Durchatmen, bei denen ich regelmäßig an den bösen Clown von Stephen King denken muss.
5. Crying
Die ersten dreieihalb Minuten haben wir es mit der Zierlerschen Interpretation einer Whitesnake-Ballade zu tun. Musikalisch dezent untermalt zeigt Lande, dass das genau sein Metier ist. Er schmachtet einen in bester Coverdale-Manier an, zu jeder Sekunde emotional und glaubhaft. Nach etwa der Hälfte bricht die Nummer, schwere, rockige Riffs und technoesque Keys dominieren kurzzeitig, bis der Song wieder in getragenen Gefilden ins Ziel kommt. Sicher der am wenigsten außergewöhnliche Song des Albums, was ihn aber nicht schlechter macht.
6. The Devil’s Hall Of Fame
Mit knapp achteinhalb Minuten der längste Song des Albums. Er startet schleppend und schwer, mit (zumindest für mich) dezent orientalisch anmutenden Leads. Die Düsternis regiert wieder. Der Refrain zeigt wieder das enorme Melodieverständnis des Herrn Zierler. Er setzt einen herrlichen, melodischen Kontrapunkt zur kraftvollen Strophe, und frisst sich im Kopf fest. Auch wie nach der zweiten Strophe Chöre eingefügt werden, ohne auch nur ansatzweise plakativ zu wirken, ist große Kompositionskunst. Inhaltlich kann ich nicht mehr folgen. Seit zweieinhalb Songs sitzen wir im Kopf des werten Herrn fest und werden von Emotionen bombardiert, die nicht gerade auf ein glückseliges Leben schließen lassen. Der Titeltrack ist nach „Shadowland“ der größte Moment dieses grandiosen Albums.
07. Closing The Circle
Das zweite Instrumental, wieder unter drei Minuten. Eigentlich mehr eine melancholische Pianointerlude, die den Hörer auf die Atmosphäre des Abschlusstracks einstimmt.
08. Perfekt Dark
Düsterer Beginn, mit vereinzelten Hoffnungssprengseln. Lande ist extrem bluesig und leidend in den ersten beiden Minuten, während die instrumentale Spannung aufrecht gehalten wird. Dezente Metalinstrumentalisierung erst ab Minute zwei, dann steigert sich die Komposition langsam, um zur Halbzeit wieder dunkle Chöre und wirre Momente einzubinden. Easy Listening ist das nicht, keine Frage. Aber der wirklich beeindruckende Gesang und die einzigartige Atmosphäre fesseln mich so, dass ich nicht weghören kann.
Als Fazit kann ich nur sagen, dass ich Zierler wirklich für ein Genie halte, und auf diesem Album – leider dem einzigen mit Lande – einfach alles stimmt. Die zweite Scheibe ist eigentlich ebenbürtig, nur der Gesang ist nicht mehr ganz so unmenschlich überragend.