von Thunderstryker » 25. August 2015, 19:29
Verzeiht die späte Antwort; in Hrvatska ist Internet reine Glückssache..
Sooo, dann mal an's Werk. Die ambitionierte Wahl fällt auf ein Album, das wahrscheinlich keiner Rezension bedarf, weil alles dazu gesagt ist und das gleichzeitig auch über jeder Rezension steht, weil ihm keine gerecht werden kann. Aber es ist auch ein missverstandenes und durchaus verklärtes Stück Musik, zu dem ich hier Worte verlieren möchte. Es ist womöglich auch zu naheliegend, dass ich es wähle, denn welches Album liegt mir schon näher als "Operation: Mindcrime"?
Der historische Aufbau zu dem Machtwerk ist nicht nur interessant, sondern in meinen Augen auch zu einem gewissen Grad nötig, um es ganz zu verstehen. Nachdem Myth-Sänger Geoff Tate sich 1982 für drei junge Recken namens Chris DeGarmo, Michael Wilton und Scott Rockenfield statt für seine bis dahin "feste" Band entschied und man Eddie Jackson an Bord holte (hierzu variieren die Darstellungen, wobei diese als wahrscheinlich gilt, da sie sowohl von DeGarmo, als auch von Tate vertreten wird), landete man mit der nach dem Bandnamen Queensrÿche betitelten EP einen ungeahnten Erfolg; besonders in Japan verkaufte sich die Platte enorm und auch in Europa schien man den richtigen Nerv getroffen zu haben. Dass ausgerechnet "The Lady Wore Black", das am wenigsten auf den EP-Sound passende Stück, die einzige Komposition, die in Kooperation der gesamten Band entstand, war, zeigt offenkundig, dass man vom konventionellen Sound wenig hielt, denn auch wenn "The Warning" über weite Strecken im Stil von "Nightrider" und der legendären "Queen Of The Reich" gehalten ist, findet das Quintett seinen hauseigenen Sound erst mit "Rage For Order". Entgegen einer weit verbreiteten Meinung ist es kein konfuses Experiment-Werk; dieser Titel gehört tatsächlich dem Debüt, das verschiedenste Songwriter-Kombinationen zu Songs zeigt, die man später, ausdrücklich nicht nur von Tate, sondern auch von DeGarmo 1997 vor seinem Ausstieg und Michael Wilton zur Zeit des "Take Cover"-Albums, "unreif" genannt bekommt. Hinzu kam der unbefriedigende Sound, der mehr Wert auf das Schlagzeug legte, als vorgesehen war. Auf "Rage For Order" haben wir nun die Situation, dass jedes Bandmitglied sich individuell ausleben kann und durch Zusammenarbeit mit der gesamten Band keine zu sehr aus dem Rahmen fallenden Kompositionen liefert. Auch, wenn das Booklet Anderes behauptet, stammen die meisten Riffs von Michael Wilton, der später als der "Riffschreiber" in der Band angesehen wird, während die Melodien größtenteils auf DeGarmos und die Texte auf Tates Konto gehen.
Soweit die Vorgeschichte. "Operation Mindcrime" beginnt mit dem Druck, ein neues Album veröffentlichen zu müssen und findet seinen substantiellen Anfang bei Tate, der bei einem Kirchenbesuch aus der Laune heraus die heilige Eingebung zu dem Grundkonzept bekommt. Nach einigem Feilen steht das Grundgerüst der Lyrics also vor dem ersten gespielten Ton des Albums, das manchmal als erstes Progressive Metal-Album der Welt bezeichnet wird. Und hier beginnt der Mythos; weder ist das Album progressiv, noch ist es wirklich Metal. Und schon gar nicht ist es "erstes". Es ist durchweg sehr komplex arrangiert und bietet Tricksereien, die dem ungeschulten Ohr das Gefühl geben, etwas Progressives zu hören, aber im Endeffekt handelt es sich "nur" um sehr wertigen Hard Rock. So sieht es auch die Band selbst, die nicht erst nach "Empire" verlauten lässt, dass 1988 kein Metal-Album auf die Welt losgelassen wurde. Marketing-Abteilungen sind schon etwas Feines. Den Hauptteil der Songwriting-Last teilen sich Chris DeGarmo und Geoff Tate, wobei auch diesmal Michael Wilton die Credits für einige (Übergangs-)Riffs unterschlagen wurden. Man hört auf "Operation: Mindcrime" erstmals, was auf wen zurückzuführen ist; so sind die Melodien fast allesamt des ursprünglich im Pop verwurzelten DeGarmos Arbeit, während Experimente wie die Chöre auf "Suite Sister Mary" dem Kopf des Frontmannes entsprangen. Grundsätzlich teilte die Band bis zum Split die Auffassung, dass "Empire" und "Hear In The Now Frontier" die Babies des Gitarristen und "Operation: Mindcrime" und "Promised Land" Tate-Werke seien. Das Cover sei inspiriert von einer Anti-Atom-Demonstration; einem Vorgang, der auch 1988 noch als einer der unamerikanischsten Vorgänge überhaupt angesehen wurde.
Erst nach Veröffentlichung des Albums wird der Band klar, dass man ein Detail der umfangreichen Geschichte nicht genug herausgearbeitet hatte. Im Grunde geht es um einen Klein-Revoluzzer "Nikki", der in den Fängen einer ominösen Organisation landet und für diese in seinem Wahn kleinere Aufträge bis hin zum Mord an Politikern ausführt und dabei mit Waffen, Drogen und Geld entlohnt wird. Er lernt dabei "Father William" und die Nonne Mary kennen, in die er sich verliebt, womit die Tragik sich verschärft, da sie als untragbares Element der Organisation des Dr. X beseitigt werden soll. Natürlich soll Nikki den Auftrag ausführen; er tötet den Priester, lässt Mary aber am Leben, nur um dann nach dem nächsten Rausch festzustellen, dass sie tot ist. Er wird nach einem nächtlichen Umhertaumeln von der Polizei gefasst und verurteilt. Das "vergessene" Detail ist die Frage nach dem Mörder Marys und hier behielt sich die Band mehrere, in der Live-Darbietung gezeigte, Möglichkeiten vor. Mal ist es Mary, die auf Dr. X' Geheiß Selbstmord begeht, um Nikki zu schützen, mal ist es doch Nikki im Wahn. Jede Möglichkeit eröffnet auch einen ganz anderen Blick auf den zweiten Teil, der 2006 in die Läden kommt und weniger Wert auf die Story selbst, als auf den Blick in das Konzept der menschlichen Psyche legt. Schon 1991 ist in Interviews von einem zweiten Teil der Story die Rede, aber umgesetzt wurde der Gedanke bekanntlich erst zu einer Zeit, in der die Situation der Band sehr angespannt war und Kelly Gray den Posten DeGarmos übernahm.
Fast genau eine Stunde dauert "Operation: Mindcrime" und beginnt mit dem gesprochenen Intro "I Remember Now"; mit diesen Worten endet das Album dann auch, um zu offenbaren, dass die Chose letztlich aus Nikkis brüchigen Erinnerungen besteht und die Mordfrage auch ein Verdrängungsakt sein kann. Grundsätzlich sei es laut Scott Rockenfield wichtig, der Geschichte nicht gutgläubig zu folgen, sondern sich immer daran zu erinnern, dass hier aus der Perspektive eines Drogenabhängigen Mörders in einer Klinik berichtet wird und deshalb kritisch zu hinterfragen. Das ist für den Hörer beim ersten Durchlauf wahrscheinlich zweitrangig, denn der musikalische Teil ist beeindruckend genug. Nach dem zweiten Intro "Anarchy X", das auch der Grundgedanke vom 2013er-Intro "X2" ist, beginnt die Reise mit dem Ohrwurm "Revolution Calling", das am besten zeigt, wie simpel sehr Gutes zu Phantastischem aufgebauscht wird. Das Grundgerüst des Liedes ist ein kurzer, einprägsamer Hard Rock-Song, erweitert um ein DeGarmo-Melodie-Intro und verfeinert mit einer Gesangslinie, die nie ein fester Leitfaden ist, wie etwa bei Ozzy Osbourne und Ähnlichen. Der Titeltrack hat ein ähnliches Prinzip, ist aber im Midtempo gehalten und überrascht mit einer kleinen Gitarre-Story-Symbiose zu Beginn. Das pfeilschnelle "Speak" ist derartige Gesangs-Aktobatik, dass der kurze Maiden-eske Gitarren-Blitzkrieg daneben fast vergessen werden könnte. "The Needle Lies" ist der später folgende Zwilling des Albums. Grundsätzlich fühle sich Geoff Tate besonders in hohen in tiefen Stimmlagen wohl, so aus einem Interview jener Zeit.
"Spreading The Disease" ist wieder ein klarer DeGarmo-Track, bis der von Scott Rockenfield und Tate erdachte ruhigere Mittelteil der Spannung einen großen Schub verleiht. Obwohl mir persönlich gar nicht so viele Cover bekannt sind, gilt der Song als der meist-gecoverte Queensrÿche-Song aller Zeiten. Vermutlich ist die gesellschaftskritische Message offensichtlich genug und verlockend, dabei nicht zu sehr an das Gesamtkonzept gekoppelt und auch der instrumentale Part weniger komplex als der der anderen Lieder. "The Mission" erinnert zu Beginn nicht von Ungefähr an eine James Bond-Melodie und ist auch nur geringfügig refrainlastig. Recht sperrig, aber dafür auch sehr nachhaltig, ist der Track ein sehr nachhaltiger und zu Unrecht oft übersehener Klassiker aus der zweiten Reihe, der zu dem Monolithen von "Operation: Mindcrime" führt: "Suite Sister Mary". In diesen fast 11 Minuten spielt sich der dramatischste Teil der Geschichte ab und wird von einer erst ruhigen, dann hektischeren Begleitung perfekt untermalt. Interessant die spätere Bemerkung DeGarmos, dass im Grundkonzept viel mehr Gitarrensoli vorgesehen waren. So oder so, am Ende wird man Zeuge eines der spannendsten Stücke der Musikgeschichte, das vom bereits erwähnten Kontrast-Blitzer "The Needle Lies", das besonders auf "Operation: Livecrime" eine Wahnsinns-Performance erlebt, abgelöst wird. Nun geht es in den psychedelischen Part der Story. "Electric Requiem" soll den Fund der Toten Mary vertonen, wird in der Livedarbietung aber meist verlängert, um die Frage nach dem Mörder anzugehen. "Breaking The Silence" und "I Don't Believe In Love" sind die beiden unheimlich eingängigen "Hits" des Albums und entsprechend auch als Singles erhältlich. Interessanterweise verkaufte sich "Operation: Mindcrime" trotzdem nur mäßig, bis das erste Video von "Eyes Of A Stranger" auf MTV lief. Von da an war der Weg zu "Empire" geebnet. Und von eben Jenem an war es auch erstmals möglich, das vorangegangene Konzeptalbum erstmals in Gänze zu spielen; ein Treppenwitz der Musikgeschichte. Über zwei weitere Intros, "Waiting For 22" und "My Empty Room", geht es über zu dem bereits erwähnten Video-Track, dessen Refrain so tief unter die abhaut geht, wie auch die Strophe schlicht genial ist. Gegen Ende werden alle Lieder des Albums im Schnelldurchlauf aufgegriffen und lassen einen die schnelle Gedankenwelt des Nikki noch ein letztes Mal intensiv spüren.
Hoffentlich hat die Rezension dem Ein oder Anderen das Album noch ein StĂĽck schmackhafter gemacht; ich selbst merke, dass ich es immer wieder auflegen kann und Details entdecke, die mir lange entgangen sind und immer kleine Nischen in der Story bemerke, die es durchzudenken wirklich wert sind. Ein inspirierenderes Album ist mir deshalb noch nicht untergekommen und alleine deshalb hat "Operation: Mindcrime" einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen und auch meiner Sammlung.