von dawnrider » 15. Juli 2014, 18:54
Ein paar Worte, bevor Siebi wie versprochen meinen Senf bekommt: ja, Ulle, ich schraube bei meinen Lieblingen tatsĂ€chlich die Erwartungshaltung nach unten. Nicht bewusst, das geschieht ganz natĂŒrlich. Jedem ist doch klar, dass das Niveau einer Sad Wings Of Destiny oder einer Screaming For Vengeance nie mehr erreicht werden kann. Das kann ich von meinen alten Helden nicht mehr erwarten, das wĂ€re nicht fair. Trotzdem habe ich aber das Verlangen, neues Material zu hören, ich bin eben unersĂ€ttlich und will immer und immer mehr. Das passiert, wenn Emotionen im Spiel sind.
Auch wenn der Vergleich dem ein oder anderen unpassend erscheinen mag: ich setzâ doch meine geliebte Ehefrau auch nicht nach vierzig Jahren auf die StraĂe, weil ihr Arsch faltig geworden ist und sie nicht mehr ganz so knackig ist wie in den 80ern. Und das gestehe ich auch einem KĂŒnstler ein. In einem gewissen Rahmen, wenn ich mich verarscht fĂŒhle, dann ist auch um. Dieses GefĂŒhl hatte ich bei Priest bislang nicht.
Siebi, ich mag die letztjĂ€hrige Deep Purple sehr gern, und Du auch. Aber hast Du sie am MaĂstab In Rock oder Machine Head gemessen? Das wĂ€re genauso wenig fair.
Ich weiĂ, ihr seht das anders, und das ist auch OK. Ich funktioniere da eben anders. Das heiĂt nicht, dass ich das hier und jetzt nicht so sehe, wie es ist, ich werte es aber instinktiv anders.
Zum Sound:
Der ist nicht optimal, stimmt. Die Retribution, die hatte einen perfekten Sound. Die Redeemer ist davon weit weg. Mir fĂ€llt auf, dass sie auf jedem AbspielgerĂ€t anders klingt. Im Auto ist es am schlimmsten. Die Anlage dort ist recht basslastig und schmiert gern. Das steht der Redeemer gar nicht. Zu Hause ist die Anlage eher bassarm, aber glasklar und sehr unverfĂ€lscht. Ich will nicht behaupten, die gewĂŒnschte Unsachlichkeit von Studioboxen erreicht zu haben, es geht aber in diese Richtung. Und da gefĂ€llt mir der Redeemer, da stört der Sound nicht. Im BĂŒro an den kleinen PV-Aktivlautsprechern klingt es dann recht komprimiert, ist aber nicht weiter schlimm. Kurzversion: Sound ist nicht toll, zerstört aber die Songs nicht.
Der Erlöser der Seelen:
Dragonaut
Intro, schönes Riff. Ich finde, dass Halford immer noch kraftvoll klingt. Und die Bridge ist so typisch, das schmeichelt mir sofort. Ja, Refrain ist unspektakulĂ€r, die MelodiefĂŒhrung wĂ€hrend der Strophe ebenso, aber die Nummer ist OK. Das Solo gefĂ€llt mir auch sehr gut, wie gesagt, der Jungspund macht seinen Job toll.
Redeemer of Souls
Flotter als der Opener, tolle Strophenmelodie und eine Bridge, die das Herz öffnet. Toller Refrain. Halford wirkt auf mich entspannt, was mir gefĂ€llt. Das ist kompaktes Songwriting mit der nötigen EingĂ€ngigkeit. Das erwarte ich mir von Priest, und das liefern sie auch 2014 noch ab. Wieder gutes Solo ĂŒbrigens.
Halls of Valhalla
Knackiges, tolles Riff und der erste richtige Scream des Albums. Ja, nicht mehr auf Painkillerniveau, das ist klar. Aber trotzdem bekommt Halford die Schreie deutlich besser hin als der gleichalte Eric Adams es heute kann, oder als Ian Gillan es vor fĂŒnf Jahren konnte. Das kann man so durchgehen lassen. Und wieder ein Solopart, wie er priestiger nicht sein könnte. Eine tolle Nummer, ich kann nicht anders, als das zu mögen. Und der Mittelteil ist absolut gelungen und entschĂ€digt fĂŒr den einfachen Refrain.
Sword of Damocles
Der dritte tolle Song in Folge. Ein schönes, zweistimmiges Lizzythema wird durch den Priestfleischwolf gedreht. Der Refrain ist wieder geglĂŒckt, der Mittelteil, beginnend mit dem klaren Gesang und der dramatischen Steigerung wertet die Nummer nochmal auf.
March of the Damned
Nach dem okayen Opener nun schon der vierte Treffer in Folge. Dieser Viererblock ist auch der stĂ€rkste Teil des Albums. Halford erinnert mich in der Strophe weniger an Ozzy, sondern an Alice Cooper, und die Bridge tropft ja fast vor Coolness. Klar ist der Refrain simpel, aber so unfassbar cool und aus der Bridge schlĂŒpfend, dass mir das einfach gefĂ€llt. Welten ĂŒber den repetitiven Maidenrefrains der jĂŒngeren Vergangenheit. Ja, ich wĂ€re wohl auch froh, wenn Halford mir das Berliner Telefonbuch vorsingt.
Down in Flames
Tolles Gitarrenintro, wieder Riffs, die sitzen. Ich mochte wieder die MelodiefĂŒhrung wĂ€hrend der Strophe, ich finde, Halford gibt sich verdammt MĂŒhe, sich in Sachen Phrasierung nicht zu oft zu wiederholen. Ein Problem habe ich hier zugegebenermaĂen mit dem Refrain, der ist nĂ€mlich keiner, der taugt höchstens zur Bridge. Nicht auf dem Niveau der Songs 2 bis 5, aber kein Stinker oder Ausfall.
Hell & Back
Im klaren Vorspiel fÀllt mir mal wieder nicht mehr ein als zu sagen, wie sehr ich diese Stimme liebe. Der Song ist schleppend und groovig, aber kein Highlight. SchwÀchste Nummer bislang.
Cold Blooded
Wieder besser als die beiden VorgÀnger. Erinnert bisher am deutlichsten an die Retribution-Phase. Ich mag die dezente Melancholie, die Halford wÀhrend den Strophen vermittelt. Wieder eine okaye Nummer.
Metalizer
Die Uptemponummer des Albums. Nicht im Falsett gesungen, das schafft er nicht mehr. DiesbezĂŒglich war Betrayel von der Crucibel wohl das letzte Mal, dass Halford das ĂŒber Songdistanz ĂŒberzeugend abliefern konnte. The Mower war ein letzter Versuch, das im Studio einigermaĂen hinzuwichsen, hat aber nicht funktioniert. Also lieber wie hier in mittlerer Lage gesungen. Tolle Bridge, toller Refrain, tolles Solo. Passt zu den vier sehr guten Songs zu Beginn des Albums.
Crossfire
Dezent bekifftes 70er-Riff. Trotz Revolution immer noch ungewohnt bei Priest. In diese Richtung tendiert der Song auch ein wenig. Arg minimalistischer Refrain, aber nicht schlecht. Gehört nicht zu den Treffern, auch nicht zu den Stinkern. Ist OK.
Secrets of the Dead
Sehr atmosphĂ€rische, doomige Nummer. Geht in die Loch Ness-Richtung, erinnert auch an die schleppenden Parts der Nostradamus. Dazu passt auch die dezente Keyuntermahlung im Hintergrund. Ich mag das, aber ich mochte ja auch die VorgĂ€ngerscheibe. Gehört fĂŒr mich zu den Treffern.
Battle Cry
Und der nÀchste Treffer. Flotte Strophen, epischer Refrain. Erinnert mich am stÀrksten an die Halford IV. Beim ersten Hören unspektakulÀr, und irgendwann merkt man, dass man den Song nicht aus dem Kopf bekommt. Und im Gegensatz zu Ulle finde ich hier gerade den leidenden Halford stark.
Beginning of the End
Die zweite nichtssagende Nummer des Albums. Leider sehr unspektakulÀr, diese Ballade. Angel beispielsweise war einfach eine Klasse besser. Vielleicht lÀuft es einem balladenaffineren Zuhören besser rein.
Macht bislang: 2 Stinker, 4 mal gut anzuhören und 7 Treffer. Und ja, die Quote reicht mir und macht mich glĂŒcklich.
Und als Zugabe die Bonus-EP:
Snakebite
Rockende, simple 70er-Nummer. Cool gesungen. Bikerrock statt Metal. OK.
Tears of Blood
Wieder typischer Priestmetal, nette Gitarrenriffs, guter Refrain. Bester Song der EP. Treffer.
Creatures
Fieses Riffing, erinnert mich ja an die Stimmung auf der Jugulator, nur ohne deren mechanische KÀlte. Modernste Nummer des Albums, Treffer. HÀtte ich gerne mit Owens im Jugulator-Gewand gehört. Treffer.
Bring it on
Noch was Hymnisches zum Schluss. WĂŒrde sofort auf die IV passen. Wieder ein Treffer.
Never Forget
Die zweite Ballade, und die wesentlich stÀrkere. Nicht die traurige TrÀnennummer wie der letzte Track des Albums, sondern viel mehr die melancholische, lebenserfahrene Aussage reifer MÀnner. Musikalisch anders gelagert, aber vom Spirit her musste ich an die tolle Ballade vom letzten Demon-Album denken. Treffer.
Somit 4:1 nach Toren auf der EP, also unbedingt die Vollversion kaufen.
Fazit:
Der Powermetal-BewertungsschlĂŒssel gibt vor:
1.0 - 3.0 Ein ganz ĂŒbles Album.
3.5 - 5.5 Ein mehr oder weniger langweiliges Album.
6.0 - 6.5 Ein in vielen Bereichen ordentliches Album, das nicht mitreiĂt.
7.0 - 7.5 Ein gutes Album, dem der letzte Kick fehlt, um es dauerhaft auflegen zu wollen.
8.0 Ein Album, das man hÀufiger auflegen wird.
8.5 Ein Album, das man hÀufiger auflegen wird und auf jeden Fall Hits hat.
9.0 Ein Album, das dafĂŒr sorgt, dass man mitsingt/tanzt/zuckt.
9.5 Ein Album fĂŒr die Dauerrotation. Kratzt am Klassikerstatus.
10.0 Ein Album, das in jeder Beziehung perfekt ist.
Da kommt fĂŒr mich eigentlich nur eine 8,5 Frage, ich werde es hĂ€ufiger Auflegen und es hat Hits. So ist das mit subjektiv objektiven Bewertungen.
P.S.: dass dies mein 666er Beitrag ist, ist reiner Zufall. Darauf einen fĂŒnfprozentigen, bayrischen Vollkornsprudel.