Eine Annäherung (Für den Prof)
Wovon handelt „This Mortal Coil“? Meine Suche nach den richtigen Worten kann – zum jetzigen Zeitpunkt - nur scheitern. Aber lassen wir doch stattdessen den kreativen Kopf hinter REDEMPTION sprechen, der sein eigenes Werk in wenigen, dafür umso bewegenderen Worten auf eine Art und Weise einordnet, wie ich es nur ganz selten von Musikern gelesen oder gehört habe.
About this Album
In October 2008, I was diagnosed with a supposedly incurable form of blood cancer called Multiple Myeloma. I have been fortunate enough to find a doctor that is in many cases curing the disease thorugh aggressive therapy, which I underwent, and at this time the odds are very much in my favor that I've beaten it.
However, this album is not about me, or about cancer.
This album is about feelings of confronting mortality, of coming to terms with death, of hopefully learning something from such an experience, and about taking the best from life as we stumble through the continuing frailty of our human condition, fraught as it is with wonder and cynicism, beauty and ugliness, hope and despair, faith and desperation, desire and regret, fear and resolve, and alway love.
These are themes colored by my own experience, but broad enough, I hope, to find resonance with you.
Nicolas van Dyk, Los Angeles, June 2011
Nach nur einem einzigen Durchgang kann ich fĂĽr mich sagen, dass dieser Wunsch van Dyks in meinem Fall in ErfĂĽllung gegangen ist.
Ich bin vermutlich noch viel zu jung um über Musik in größeren Zusammenhängen zu sprechen. Beobachte ich mein eigenes Kauf- und Hörverhalten, kann ich wohl konstatieren, dass „interessant“ als alleiniges Kriterium niemals ausgereicht hat, um mich längerfristig für etwas zu begeistern. Stattdessen war ich stets auf der Suche nach Musik, die etwas in sich birgt, das auf die ein oder andere Weise Teil von mir ist. Musik, die meinem Leben, Erleben und Fühlen eine Art Soundtrack verleiht. Gewissermaßen habe ich in der Musik nach mir selbst gesucht.
Und dann lese ich solche Zeilen:
I've been judged and been found wanting
By a jury of my fears
And this feeling of such worthlessness
Is tearing me to pieces
Falling deeper into this sea of doubt
My lungs are filling up
And it seems there's no way out
Wäre der lyrische Tenor dieses Albums über die gesamte Distanz so wie die ersten fünf Stücke, hätte ich das nicht unbeschadet überstanden. Ein solch gewaltiger Abgrund an Hoffnungslosigkeit und existienteller Angst tut sich dort auf, dass es kaum auszuhalten ist.
I'm starting to think I've been deceived
and there's no reason to believe
and all has failed, there's no relief
Doch bevor man Gefahr läuft, das Sorgentelefon anzurufen und von der niederschmetternden Wirkung der neuen REDEMPTION-Platte zu berichten, findet in der auf „This Mortal Coil“ stattfindenden Auseinandersetzung mit den Dingen, die tatsächlich von Bedeutung sind, ein Wandel statt, den man dankbar annimmt.
Let it rain
Wash away the poison
The stains of past misdeeds subside
Let the water bring life
In a world of second chances
No surrender to the plague inside
Eine neue Perspektive scheint sich dem Erzähler eröffnet zu haben.
Und damit auch dem Hörer.
But the hourglass seems out of sand
and nothingness seems close at hand
And I think of all I really had
And I want it back in focus
Die zweifelnde, wenn nicht gar verzweifelnde Zerbrechlichkeit der ersten Hälfte des Albums weicht einem neuen Willen zur Stärke, dem Willen, unsere begrenzte Zeit auf dieser Erde in sinnstiftende Bahnen zu lenken, soweit dies in unserer Macht steht. Und so heißt es fast versöhnlich in „Perfect“:
We all dream of how things could be
But the wise make peace with reality
Die gesangliche Darbietung von Ray auf „This Mortal Coil“ ist wieder einmal überirdisch. Er ist in der Tat wie geschaffen für düsterne Verzweifeltheit der van Dyk'schen Texte, überzeugt aber auch dann mit Glaubwürdigkeit, wenn es darum geht, nicht jeden Schmerz und jede Niederlage kampflos hinzunehmen. Als einzigen dezenten Kritikpunkt möchte ich lediglich anmerken, dass mir seine Stimme gerade bei den ersten Stücken des Albums etwas zu weit im Hintergrund ist.
Um das, was dort instrumental geschieht, tatsächlich beurteilen zu können, sind sicherlich noch eine ganze Menge mehr Durchgänge notwendig. Dafür haben mich heute die Texte und die Stimme meines Lieblingssängers zu sehr in ihren Bann gezogen. Der grundsätzliche Maßstab, den ich an „Progressive Metal“ anlege, ist der, ob songdienlich agiert oder komplex am Lied vorbei musiziert wird. Auch längere Instrumentalpassagen sollten stets ihre Funktion und Daseinsberechtigung in der jeweiligen Komposition haben. Keine Frickelei nur um der Frickelei willen. Dazu wie erwähnt später vielleicht mehr. In meiner ersten Begegnung mit diesem Album ist mir jedenfalls dahingehend nichts negativ aufgefallen. Das hat alles Hand und Fuß, wie man so schön sagt. Trotz Komplexität, trotz Keyboard, trotz Härte. Die Kompositionen des Herrn van Dyk erscheinen mir in sich stimmig, auch wenn hier natürlich nicht das progressive Rad neu erfunden wird. Aber das war wohl auch kaum die Intention der Musikschaffenden, die unter dem Namen REDEMPTION zusammengefunden haben.
Ich bin aufgewühlt, berührt, verwirrt, meine Gedanken steuern in alle möglichen Richtungen davon. Ich muss mich sortieren.
„This Mortal Coil“ ist besser als eine Therapiesitzung.
„This Mortal Coil“ lässt mir das schier unglaubliche Glück zuteil werden, den Mann, dessen Stimme mir in so vielen dunklen Stunden Trost und Zuversicht gespendet hat, zum dritten Mal in einem Jahr auf einer Bühne in meiner Heimatstadt zu erleben.
„This Mortal Coil“ zeigt, was Kunst von musikalischer Massenware unterscheidet.
„This Mortal Coil“ ist damit vielleicht tatsächlich mein Album des Jahres.
Was der Fuck.