von Irish Coffee » 11. Dezember 2005, 12:06
Grad habe ich die frisch wiederveröffentlichte LP Version einer der wohl eigenwilligsten Hardrockbands aus deutschen Landen auf meinem Plattenteller rotieren, die Rede ist von den Aachenern NECRONOMICON und ihrem grandionsen "Tips zum Selbstmord". Mit der Zeit war diese Scheibe mehrfach wiederveröffentlicht und gebootlegged worden, woran man schon ihre Klasse aufgrund der nach wie vor vorhandenen Nachfrage erkennen kann. Das hier ist nicht einfach KULT, das ist ein Klassiker. Benannt hat sich die Band um Mastermind Walter Sturm nach dem "NECRONOMICON" von H.P. Lovecraft, einer fiktiven Ansammlung sämtlicher Gräuel dieser Welt, ob nun fassbar oder nicht. Textlich gab man sich weniger fiktiv, meist nachdenklich, dann wieder erging man sich in apokalyptischen Visionen einer nahen Zukunft unseres Planeten oder man übte lauthals Kritik am Kapitalismus und der Verteilung des Wohlstandes auf unserem Planeten, das alles zumindest hierbei auf Deutsch, was kein Novum in der heimischen Popularmusikszene darstellte, jedoch eher bei wirklichen Politbands wie FLOH DE COLOGNE oder TON STEINE SCHERBEN die Gegenliebe der Fans erfuhr. Wie auch immer, bei NECRONOMICON, der ersten deutschen Heavyband dieses Namens, paßten die Lyrics wie die Faust aufs Auge, wurden gefühlvoll und so unpathetisch wie möglich vorgetragen. Nun aber zur Musik. "Prolog" ist nicht nur ein einfaches Intro, sondern wird nach einer lustigen Eröffnung, die einen fröhlich summenden Herren darstellt, der irgendwann die Melodie des einleitenden Riffs singt und prompt von der Gitarre eine Antwort erhält, ein mittelschnell groovender Hardrocker mit schön brodelnden Gitarrenattacken und aggressivem Orgelspiel, dazu eindringlichen Gesangslinien. NECRONOMICON sind zudem Meister des Passagenwechsels, denn zuerst wird ein bluesig - psychedelisches Solo zum besten gegeben, danach folgt eine kraftvolle Hardrockpassage, dann der Übergang ins stampfend - groovige Mid Tempo mit sehr markanter, sehr mitreißender Melodie. Mittendrin wird das Tempo angezogen und schließlich ein Solopart mit galloppierendem Rhyhtmus angelegt, über dem Herr Sturm dann wie ein Besessener seine Klampfe schrotet, mit und ohne WahWah Effekte jaulen lässt und nebenbei der Organist noch ordentlich Feuer macht. Ach ja, wir haben hier ja gleich zwei Gitarren, somit ist der andere Klampfer Norbert noch mit von der Partie beim Abdrehen. Urplötzlich bricht der Song ab und ein sphärisch - psychedelisches Gewabere beginnt, auch wieder durch zartes Massieren der sechs Stahlseiten inszeniert, bevor eine verträumte Melodie die Sinne bezaubert. Der Text klagt gegen die fortschreitende Umweltzerstörung durch Technisierung, wo ich der Band nur zustimmen kann. Ein kleines bißchen Wehmut klingt durch diese Passage. Dann wechselt die Melodie, Bass und Orgel bestimmen die neue Passage mit sehr melancholischem Ausdruck, dann treten Gitarre und Schlagzeug hinzu, das Grundfeeling wird trotz der ständigen Wiederholung des Melodienthemas immer pompöser, mehrstimmige Summchöre treten auf und jagen Dir einen eisigen Schauer über den Rücken. "Requiem der Natur", so der Titel, musikalisch und textlich harmonierend. Abbruch des Bombastparts, ein angejazzter Rhythmus und eine wild fetzende Leadgitarre übernehmen in diesem Soloabschnitt die Führung. Irgendwie merkt man schon während der ganzen Zeit, daß der Sound eben nicht von einer Majorproduktion stammt, aber das ist so egal, denn die Musik ist beseelt, steckt voller Magie und intensivster Leidenschaft. Die Orgel übernimmt im Solopart nun die Rolle der Leadgitarre, danach ist der Bass dran und hier wird nicht gekleckert, sondern rangeklotzt. Eigenwillig, klar, aber einfach nur genial. Das Schlagzeug zieht sich vom Bass zurück, wechselt den Rhythmus, zurück zum stapfenden Groove. Die Orgel kehrt zurück und mit ihr der Bombastchor. Von glattpoliertem Kommerzpomp wie heutzutage üblich keine Spur, NECRONOMICON lassen die Erde erzittern mit den Sirenenstimmen. Das geile an dieser Band ist, daß sie Songs schreiben, die die Ewigkeit überdauern und auch nach 33 Jahren trotz des anachronistischen Sounds noch Substanz beweisen, gerade in einer Zeit wie dieser, wo musikalischer Dünnschiß die Charts beherrscht und die tumbe Menschheit bewegt. Aggressives Riffing von Bass und Gitarre leitet den Titelsong ein, ein flotter Rhythmus legt sich darunter, hinzu kommen sirrende Orgeln und hohe Screams. Der Sänger in diesem Fall, ich weiß nicht ob Walter oder Norbert, einer von den Klampfern auf jeden Fall, hat einen wütenden Tonfall, sehr bodenständig, vielleicht nicht unbedingt technisch perfekt, dafür umso emotionsgeladener, fast schon punkig. Ein verspielterer Zwischenpart folgt dem Hauptthema, geht dann wieder zum Ursprung zurück und es wird weitergerockt. Auch hier soll der sehr direkte Text wieder wachrütteln und dem Hörer direkt ins Gesicht springen. Zumindest beim Verfasser dieser Zeilen hat das funktioniert. "Tips zum Selbstmord" ist ein sehr kurzer, dafür umso prägnanterer Rocker. Das ideale Verbindungsglied zu "Die Stadt", einem sehr epischen Song mit akustischem Beginn, der vor Melancholie und trotz seiner sanfteren Ausrichtung vorhandener ohnmächtiger Wut nur so strotzt, dann erst in einen mit düsterer Melodie versehenen Hardrockpart, hier übernimmt die Orgel wieder die Hauptarbeit, übergeht, im weiteren Verlauf etwas heller und fröhlicher von der Stimmung her wird mit Screams, wie man sie eigentlich nur von Uriah Heep (siehe "Bird of Prey") kennt, von Dunkelheit und Aggression jedoch schnell wieder eingeholt wird. Begnadet, verdammt begnadet. Der Mittelteil ist verspielt und kirre. Erst aggressiv und flott mit feurigen Leads, geht es in eine Art Dialog zwischen einzelnen Leadinstrumenten und der Gesamtbesetzung über.  Insgesamt ist es ein Wechselspiel der Emotionen in diesem Song, die düsteren Visionen und doch hoffnungsvollen Passagen dabei. Killer! Kleine Anekdote am Rande. 1995 hat DEATH SS Mainman und 70er Hardrockfan Steve Sylvester auf seiner "Mad Messiah" LP eine Coverversion dieses Songs gebracht, dort "Dying Wold" betitelt mit englischem Text, da stand "Music by Sturm". Nun dachte sich unsereiner ganz tranig, daß da ja irgendwo eine coole 70er Heavyband called Sturm ihr Unwesen getrieben haben mußte. Zehn Jahre später fällt mir diese Scheibe in die Hand. Klar! Sturm, Walter Sturm ... ich DEPP. Vor allem mußte ich erst überlegen, woher ich denn die Melodie von "Die Stadt" kenne, hahaha. Kult. Nun aber zu "In Memoriam". Es beginnt mit bluesig - hardrockigem Riffing, wird dann aber zu einem eher getragenen, von Orgelsounds und ruhigen Passagen, dazu sehr betörenden Melodien dominierten Stück mit einigen instrumentalen Eruptionen, einem Text, der auf die Mißstände bei der Verteilung des Reichtums in der Welt hinweist, nicht unbedingt supersingbar scheint, doch wirklich mit dem Stück harmoniert. Ein wenig Boogey und Hardrock treten auch noch zutage, als der Song dann dem Ende zugeht. Hat eine Menge von den damals, 1972, aktuellen DEEP PURPLE Sachen, inklusive flippiger, wilder Soli und dominanter Keyboards. Ein sehr einprägsamer Song, der rasch zu einem Favouriten, einer wahren Hymne heranwächst. Und nun zum Schluß der Scheibe, als Sahnehäubchen quasi, ein majestätischer, episch - monumentaler Track, wie man ihn von den größten Bands damals kaum besser gehört hat. Ein sich langsam steigernder Anfang mit peaciger Melodie und dann der Irrsinn, beschwörende Gesangsmelodien, morbide Texte vom Ende der Welt. Eine ruhige Zwischenpassage mit sehr trauriger Melodie, dann ein spannungsgeladener Part mit zurückhaltendem Schlagzeug, mystischen "Aaaaah" - Chören und sich langsam in Sachen Heaviness steigernden Instrumenten, dazu fast hysterischem Leadgesang. Und dann ist man wieder beim Hauptthema angelangt, welches sich erhaben daherschlängelt und Dir bis in Mark und Bein dringt. Wow...irre! Alleine der Schrei "Sie verrecken!" ist wahnwitzig. Der Abschluß des Songs ist danach nur noch reine Formsache, aber seid Euch sicher, kaum weniger episch und majestätisch - morbide. Tja, eine Platte für die Ewigkeit, im schönen mehrfachaufklappbaren Übercover (wie beim Original), einem festen Innencover, ganz neutral in weiß und gefütterter Innenhülle mit Extrainfoblatt in Deutsch und Englisch. Das Vinyl ist schön schwer, so wie es sich gehört. Alles in allem ein Genuß, optisch und klanglich. Wieviele davon noch zu bekommen sind, kann ich gar nicht so genau sagen, fragt am besten die Band selbst. Wer sich also URIAH HEEP oder DEEP PURPLE auch mit deutschen Texten vorstellen kann sollte nicht zögern. Mit vier Bonusstücken, die qualitativ kaum abfallen gibt es auch eine neue CD Version dieses Werkes zu kaufen. Egal wie man sich dreht und wendet, für 70er Fanatiker ist das hier eine lohnende Anschaffung.Â
Sascha, 2005
Odins wilde Krieger aus dem Norden kehren wieder. Abgerissen und zerschlissen, dennoch ungebrochen. Holstein, Deine Helden wollen sich zu Worte melden. Voller Stolz und voller Wut, hier wird gestanden, nicht gekrochen.