Auch wenn es ein bisschen am Thema vorbei geht, kurz zu PARADISE LOST, wo ich im Wesentlichen dem Siebi zustimmen möchte. Die waren bis "Draconian Times" eine starke, eigenständige und innovative Band, die dann ein bisschen zu sehr DEPECHE MODE verfallen ist, aber in den letzten Jahren definitiv wieder die Kurve gekriegt hat. Ob das jetzt in der Frühphase Doom/Death und Später Rüschenhemdkitsch war, oder von Anfang bis Ende Gothic Metal in verschiedenen Ausprägungen, das ist mir ziemlich wurscht. Wenn ich die "Lost Paradise" höre, dann ist die so weit nicht von einer "Soulside Journey" weg, und die folgenden drei Alben sind aus meiner Sicht ziemlich genial und intensiv. "Draconian Times" ist dann für PL in etwa das, was das schwarze Album für METALLICA ist. Kommerziell wie die Sau, aber durchaus auch mit feinen Songs bestückt. Man mag von dem, was die Band ausgelöst hat, halten was man will, und man mag gerne auch bestreiten, dass die Band Doom Metal spielt, aber sie ist ein echtes Original und hat aus meiner Sicht etliche echt große Hymnen verbrochen. Außerdem ist Greg Macintoshs Leadgitarrenstil schon auch etwas ganz Feines und Besonderes. Und dabei bin ich jetzt nicht einmal der richtig große PL-Fan.
Jetzt aber mein Beitrag zur Lösung der Fragen um die Briten:
Diejenigen, welche die Trendgeschichte ansprechen, dürften aus meiner Sicht eine ziemlich heiße Spur verfolgen. Die Briten sind gerade im Bereich der Kunst immer gerne Trendsetter gewesen, und Trends wohnt das hastige und kurzlebige inne. Mit der NWoBHM waren die Briten fasziniert und stolz, dass aus ihrem Land eine musikalische Revolution kam, das wurde abgefeiert, von der Industrie gepusht, Bands schossen wie die Pilze aus dem Boden, und nach der Pilzernte war erst einmal ziemlicher Kahlschlag übrig. Ich denke, dass ein großer Prozentsatz der heute als Kult gehandelten NWoBHM-Bands um 1980 herum überhaupt keine in der Wolle gefärbten Metaller waren. Das war anders, als wenn heute drei "Jungs" aus dem SMB, die seit 20 oder 30 Jahren Metal hören, eine Band gründen, um dem wahren Stahl zu dienen. Da waren jede Menge blutjunge Upstarts dabei, die oft zwar wild und hungrig waren, aber im Zweifel weniger auf Metal als auf den Erfolg mit der Musik. Man sah, dass sich EMI plötzlich Gleichaltrige nach einem Demo aufs Label holt, und da wollte man dazu gehören. Metal war gefragt, also hat man Metal gespielt, oder einfach auch seinen Altherren-Hardrock mit einem Metal-Artwork, einem schneidigen Logo und ein paar Nieten am Gürten verziert, um auch in die Zielgruppe zu rutschen. Die NWoBHM war bei allen tollen Perlen, die sie hervor gebracht hat, ab einem gewissen Punkt auch ein ganz gewaltiger Hype, dessen rasches Abebben sich letztlich auch darin manifestiert, dass unzählige Bands es nur auf ein Demo oder eine 7"EP brachten und dann wieder vom Erdboden verschwunden waren. Schaut im MacMillan nach!
Wie auch schon gesagt wurde: Beim Abebben des Trends blieben diejenigen, die es "geschafft" haben, und dann diejenigen, die aus Leidenschaft für ihre Musik bereit waren, tief in den Untergrund zurück zu gehen. Der große Rest wurde Fabrikarbeiter, Buchhalter, Lehrer, Polizist und Familienvater, und die Gitarre wurde erst wieder abgestaubt, als nach der Jahrtausendwende plötzlich obskure Anrufe aus Deutschland kamen.
Beim Bandnachwuchs gab es ein riesiges Loch, weil die Aussicht auf den Durchbruch als Musiker mit traditionellem Metal aus England ab Mitte der 80er natürlich gnadenlos einbrach, und weil die nächsten Evolutionsstufen der Metalgeschichte eben erst einmal (bis zum Aufkommen des Gothic Metal) nicht vornehmlich aus Britannien kamen, sich damit die Labels auch nicht allzu sehr für Thrasher, Glamrocker oder Death Metaller aus dem Königreich interessierten.
Warum lief es andernorts besser?
Skandinavien bietet mit staatlicher Förderung sehr viele Strukturen, die es jungen Musikern ermöglichen, sich auf ihre Musik zu konzentrieren ohne dabei zu sehr vom rein marktwirtschaftlich begründeten Erfolg abhängig zu sein. Deswegen ist dort die Banddichte gemessen an der Bevölkerungszahl extrem hoch, und der Musiker kann auch mehr auf seine Vorlieben schauen, als dass er immer schauen müsste, was sich am besten verkauft, wenn er bei der Musik bleiben will. Außerdem war die skandinavische Szene (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) zunächst mal eher spät dran und es gab sehr viele Vorbilder auf die man sich stützen und auf die man aufbauen konnte. Gerade Schweden hat ja quasi auf jedes Metalgenre seine eigenen Antworten gefunden. Man war sich dabei nicht zu fein, Briten, Amis und Teutonen als Referenzen aufzugreifen, dann aber doch mit der Zeit wieder etwas ganz eigenes daraus zu machen.
In den USA dürfte die schiere Größe des Landes, die Masse der Menschen, die extremeren Strukturen im Sozialgefüge und in der Medienlandschaft, aber auch der interkulturelle Aspekt viel bewegt und viele neue Strömungen angefacht haben. Da in den USA Menschen aus aller Herren Länder zusammen kommen, dürfte auch der Anspruch, nur "eigene" Trends zu reiten, nicht so groß gewesen sein. Die Metal-Initialzündung hatte man im Zweifel eh aus England, und dann begann ein wilder Crossover der Einflüsse, der bis heute nicht halt gemacht hat. Der traditionelle Metal verschwand in den USA auch irgendwann aus dem medialen Mainstream, aber es hat de facto nie wirklich am Bandnachschub gefehlt. Auch in den bösen Neunzigern nicht.
Das Deutschland-Phänomen ist wieder so eine Sache, das man als "Betroffener" nur schwer neutral bewerten kann, ohne entweder pathetisch oder pathologisch zu werden. Wobei uns auch viele amerikanische oder britische Bands bestätigen werden, dass die "Nibelungentreue" zu den Bands und Stilen, die man einmal als Favoriten auserkoren hat, nur in wenigen Gegenden so extrem ausgeprägt ist, wie bei uns. Fragt mal Lemmy oder Biff, wo sie immer gern gesehen waren, als in der Heimat keiner mehr nach ihnen krähte. Und wo wurde die MILITIA-7" für vierstellige Beträge ersteigert? Diese Mentalität, die sowohl viele Fans als auch viele Musiker haben, sorgt natürlich dafür, dass es für Musiker einen Anreiz gibt, immer weiter zu machen, auch wenn das große Geld nicht (mehr) fließen mag. Deutschland ist in vielerlei Hinsicht das Land der beharrlichen Metal-Arbeiter, die einfach nicht nachlassen wollen, auch wenn sie jahrelang nur vor wenigen Nasen spielen. Das haben so viele große deutsche Bands mitgemacht, und doch sind fast alle ewig geblieben und die meisten immer noch da (ich muss keine Beispiele nennen, oder?). Außerdem war in Deutschland Metal niemals der mediale Hype, der er in UK und USA war. Von einzelnen Bands und kurzen Phasen ausgenommen, war das Ganze doch meistens eher eine (zeitenweise durchaus große und wirtschaftlich relevante) Underground-Geschichte. Das sorgt dafür, dass es zwar einerseits keine Band-Fluten gibt, andererseits aber auch nachhaltiger funktioniert. Kurz gesagt: Ich habe den Eindruck, dass es in Deutschland prozentual relativ viele Musiker gibt, die mit ihrer Musik weniger nach dem großen Durchbruch streben, sondern vielmehr danach, aktiver Teil einer Szene zu sein, der sie als Fan angehören. Und da macht man dann halt eher etwas, wonach kommerziell gerade kein Hahn kräht, als wenn man den Anspruch hat das Business zu knacken, Trends zu setzen oder ein Star zu werden. Vor diesem Hintergrund stimmt es vielleicht, was viele Leute - oft eher abwertend - über den deutschen Metal sagen: Er ist sehr oft ein wenig konservativ und bieder. Aber ich glaube ganz fest, dass diese Einstellung vieler Bands und Musiker ganz viel dazu beigetragen hat, dass Deutschland immer noch eines der Metal-Länder schlechthin ist, und dass sehr viele entscheidende Impulse für das breit angelegte (Untergrund) Revival traditioneller Metalklänge aus unseren Gauen stammten.
Öhmmm... ja... entschuldigt die vielen Worte. Hat sich so ergeben.
