Metal Dundee hat geschrieben:Man kann es ja auch übertreiben, klar. Es ist ja legitim, dass NSBM-Bands einfach zur Info aufgelistet werden, aber dass man von Bands, welche ganz klar zu ihrer rechten Gesinnung stehen auch die Bezugsquellen verlinkt ist für mich einfach fragwürdig.
Dass wir uns beim Listen aus Informationsgründen einig sind, das freut mich. Das mit den Bezugsquellen kann man sicher diskutieren. Schon einmal, ob man das in einem Lexikon überhaupt tun sollte, und dann sicher noch einmal unter dem Gesichtspunkt der Moral. Andererseits ist es eben auch ein Unding, vom Betreiber einer Seite mit lexikalischen Einträgen von 76.768 Bands (!!!) zu verlangen oder auch nur zu erwarten, dass er bei allen prüfen kann, ob sie moralisch integer sind. Das mag bei manchen Bands vielleicht einfach erscheinen, aber dann ist auch wieder die Frage der Grenzziehung. Es ist ja nicht so, dass ausschließlich bekennend rechtsradikale Bands unmoralisches Gedankengut hegen, sondern durchaus auch andere. Satanisten, Gewaltprediger ... weiß der Teufel, wer noch alles. Außerdem weiß man nie, ob ein bestimmtes Image nun "echt" ist, oder ein Mittel der provokativen Kunst. Das habe ich ja schon angedeutet. Ich erinnere an den Mr.-Hilter-Sketch von Monty Python. In England, den USA oder sonstwo kann man an Halloween das "ultimativ Böse" im Heinrich-Himmler-Kostüm spielen, in Deutschland kann man das an Fasching nicht. Wer prüft jetzt, ob eine "NSBM"-Band wirklich politisch agitiert und tatsächlich gewaltsam ein Viertes Reich errichten will, oder ob sie nur versucht, so unglaublich böse zu sein und so sehr zu provozieren, wie sie es mit dem alten Deibel und Jason Vorhees seit 20 Jahren nicht mehr kann. Aus deutscher Sicht mag Provokation mit NS-Bezug "zu weit" gehen; für Menschen aus anderen Ländern mag es aber auch nicht schlimmer sein, den Hitler-Fan zu spielen als den Teufelsanbeter. Denn mal ehrlich: Satan ist per definitionem das ultimativ Böse. Also böser als jeder Mensch und sei es der schlimmste Diktator. Dass dessen Lobpreisung heute kaum jemanden mehr interessiert, liegt doch nur daran, dass keiner mehr an ihn glaubt. Für denjenigen der wirklich an ihn glaubt und ihn fürchtet, müsste satanistischer BM eigentlich viel schlimmer und gefährlicher sein, als NSBM. Langer Rede kurzer Sinn: Wir müssen als Deutsche aufpassen, dass wir nicht erwarten, dass alle Welt unserer Geschichte wegen spezielle Phänomene so ernst nimmt, wie wir es tun. In den USA dürfen bekennende Nazis mit Hakenkreuzflagge zu Wahlen antreten, weil es ihr demokratisches Grundrecht ist. Also wird man in den USA niemanden davon überzeugen können, Bands zu "zensieren", die Nazis sind, oder die sich eben das Nazi-Image zugelegt haben. Wenn du die "Mehrheit" der Leute im Iran fragen würdest, fänden die "Satansbands" bestimmt viel schlimmer als "Nazibands". Das ist alles sehr relativ.
Dessen ungeachtet ist es natürlich eine moralisch respektable Grundentscheidung eines Fans oder eines Seitenbetreibers, solche Bands nicht unterstützen zu wollen. Weil aber die Materie so komplex und die Trennlinien so dünn sind, muss das jeder selbst entscheiden. Wenn ich ein Lexikon betreibe, dann möchte ich der umfassenden Information dienen, und nicht für den Leser filtern, was ich für ihn zumutbar finde und was nicht. Das muss er selber wissen. Wenn ich ein Problem damit habe, dann sollte ich kein Lexikon machen, sondern einen Blog, in dem ich Sachen vorstelle die ich gut finde. Das wäre dann aber keine "Encyclopaedia Metallum", sondern ein "Metallum mei gratia" und verlöre jeglichen wissenschaftlichen Anspruch, den ein ernst zu nehmendes Lexikon stets haben sollte.
Zudem erstaunt es mich doch ein wenig, wie liberal hier mit dem Thema umgegangen wird, während an anderer Stelle zum Boykott eines Festivals aufgerufen wird (die Rede ist von Armour bei der Skull Fist-Tour) nur weil ein Bandmitglied irgend einer Vorband rechts ist. Oder wie Sabaton zerrissen werden, weil sie es wagen, die Holocaust-Thematik in eine Schunckelmelodie zu verpacken.
Damit kannst du mich nicht meinen, weil ich schon immer uneingeschränkt für Meinungsfreiheit und für Informationsfreiheit war.
Ich halte es da ganz mit dem alten - oftmals Voltaire zugeschriebenen, aber meines Wissens nicht richtig belegten - Zitat:
"Ich bekämpfe deine Meinung, aber ich kämpfe darum, daß du sie sagen darfst." - Das gilt für mich uneingeschränkt für jeden, so lange er nicht schon allein durch die Meinungsäußerung die Rechte anderer verletzt. Darüber hinaus bin ich da sehr konsequent und finde, dass die in Deutschland bestehenden Einschränkungen der Meinungs-, der Kunst- und vor allem der Informationsfreiheit zu weit gehen. Ich kann nicht für mich selber Bürgerrechte reklamieren und dann, wenn die Leute Meinungen haben, die ich nicht mehr akzeptieren kann, danach schreien, dass man ihnen das Maul verbietet.
Eine echte, stabile Demokratie muss es meines Erachtens ertragen, von ihren Kritikern angezweifelt und - im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung - auch mit legalen Mitteln bekämpft zu werden, so lange sich diese nicht umstürzlerisch betätigen. Das heißt für mich konsequenter Weise auch, dass die Demokratie Parteien zur Wahl zulassen muss, welche deren Abschaffung als Ziel eines rechtsstaatlichen Prozesses betreiben. Sonst ist es die "Diktatur der Demokratie", was in Richtung Totalitarismus geht. Eine Demokratie, welche sich dem Volkswillen widersetzt, wenn der Volkswille mehrheitlich deren Abschaffung fordert, ist keine Demokratie. Demokratie erfordert die Überzeugung der Mehrheit des Volkes, dass sie die richtige Staatsform ist, und zur Überzeugung gehört die offene Auseinandersetzung mit der Antithese. Wer dem Volk nicht zugesteht, sich mit der Antithese zu befassen, der läuft Gefahr, sein Volk zu entmündigen und es mehr und mehr gegen sich aufzubringen. Politikverdrossenheit ist die mildeste Folge. Ziviler Ungehorsam, passiver Widerstand, aktiver Widerstand und Revolution können folgen, wenn man die Gefahr nicht ernst nimmt.
Das mag jetzt sehr theoretisch klingen, aber das ist einfach der Grund, warum ich dafür bin, mit Boykott-Aufrufen sehr, sehr zurückhaltend zu sein. Selbst wenn ich mir wünsche, dass diese oder jene ideologische Verirrung vom Antlitz der Welt verschwinden möge, muss ich doch den anderen ihre Ideologie lassen, so lange sie nicht die Rechte anderer manifest verletzen, und darf nicht nach Verboten schreien.
Wobei das alles natürlich das Thema "staatliche Zensur" betrifft. Ein privater Boykott oder Boykottaufruf, weil man einen Zustand moralisch untragbar findet, ist natürlich ebenso legitim. Auch das ist Meinungsäußerung und Meinungsbildung, und genauso wie ich dafür bin, dass der Extremist seine Meinung sagen darf, bin ich natürlich dafür, dass jeder von uns auch aktiv dafür werben darf, den Extremisten nicht zu unterstützen oder zu boykottieren. Für beide gilt: Die Gesetze und die Rechte der anderen sind zu respektieren. Will sagen: Der Extremist darf dafür werben, die Demokratie abzuschaffen, aber er darf nicht versuchen, sie gewaltsam abzuschaffen, sondern er muss versuchen, eine demokratische Mehrheit dafür zu gewinnen. Ebenso dürfen wir davor warnen, den Extremisten zu unterstützen und ihm unsere Unterstützung versagen, aber wir haben nicht das Recht, andere daran zu hindern, ihn zu unterstützen, denn das ist deren unveräußerliches Recht.
Warum bin ich also dafür, dass Metal-Archives die Bands von Extremisten listet und rufe nicht dazu auf, dass sie diese Bands boykottieren, wenn das doch ihr Recht wäre, und mein Recht, dafür zu werben? Nun, das hat einfach mit dem oben erwähnten Sinn und Zweck eines Lexikons zu tun: neutrale Information, nicht Meinungsmache! Wenn die Archives das wollten, dann müssten sie den Anspruch aufgeben, eine Enzyklopädie zu sein, und würden damit ihren Sonderstatus verlieren. Sie wären dann ein Metalmagazin wie jedes andere, in welchem die Leute ihre Meinung über Musik kundtun.