Pavlos hat geschrieben:
ANYONE'S DAUGHTER - Anyone's Daughter (Deutschland, 1980)
Nachdem die Stuttgarter sich auf ihrem DebĂŒt "Adonis" noch stark an ihren Vorbildern Genesis und deren MĂ€rchen-Prog orientierten, schwebte ihnen fĂŒr ihr zweites Album "Anyone's Daughter" ein eigenstĂ€ndigeres, kompositorisch deutlich variableres Album vor, welches nicht nach den damals noch gĂ€ngigen Prog-Klischees der 70er klingen sollte. Zwar waren vereinzelt noch ausufernde Instrumentalpassagen zu hören (wie man im unten geposteten Track sehr schön nachhören kann), aber der GroĂteil der Scheibe war im Vergleich zum DebĂŒt deutlich kompakter und much more to the point arrangiert.
Mit dem VierminĂŒter "Moria" hatte man sogar so' ne Art Radio-Hit fabriziert zu dem es eine kleine Geschichte zu erzĂ€hlen gibt: Als Keyboarder Matthias Ulmer, der mit den Kanadiern Sacred Blade nichts zu tun hat, dem Rest der Jungs die eingĂ€ngige Hauptmelodie vorspielte, fanden diese sie aufgrund ihrer simplen Struktur und des eingĂ€ngigen Charakters megapeinlich, und weigerten sich vehement, sie aufnehmen. Letztendlich taten sie es dann aber doch, und der Track landete 1980 auf Platz Zwei der SDR3 Jahreshitparade.
Trotz dieser Kurskorrektur, schaffte es die Band aber immer noch, ihren Liedern ausreichend schwelgerische Momente zu verpassen, und so schafften es Anyone's Daughter, die alten Fans zu halten, aber auch neue Hörer dazuzugewinnen.
Pavlos hat geschrieben:
Out Of Focus - Out Of Focus (Deutschland, 1971)
Die MĂŒnchner Formation Out Of Focus veröffentlichte zwischen 1970 und 1972 drei Platten, die einen spannenden Mix aus Psych, Blues und Folk boten. Zwar war man noch bis Ende der Dekade aktiv und nahm sogar ein viertes Album auf (welches erst 1999 veröffentlicht wurde), aber diese drei Scheiben, die ĂŒbrigens alle auf dem Kuckuck Kultlabel erschienen sind, waren leider der einzige Output der Band. Leider deshalb, weil ich Out Of Focus zu den interessantesten Truppen des Krautrock zĂ€hle, die Truppe sich im Laufe ihrer Platten immer mehr vom Hard Prog hin zum softeren Jazz Prog wandte und ich diese Metamorphose gerne weiterverfolgt hĂ€tte. Hier soll es nun um Album Nummer Zwei gehen, welches stilistisch noch eingermaĂen ausgeglichen daherkommt und deshalb wunderbar in diesen Thread passt.
WĂ€hrend auf den drei StĂŒcken der ersten Seite hart jazzig gerockt wird und die Band fĂŒr 1971 manchmal einen recht harten Sound auffĂ€hrt, hat es mir gerade die zweite Seite mit ihrer deutlich softeren und folkig-vertrĂ€umten Ausrichtung angetan. Hier werden Tempo und Aggression zurĂŒckgefahren und SĂ€nger M.NeumĂŒller greift hier und da auch mal zu Saxophon und/oder Flöte, was den Nummern nochmal eine weitere Dimension verleiht. Im Zusammenspiel mit der dominanten Orgel (H. Hering, spĂ€ter bei Sahara aktiv) und den unter die Haut gehenden GĂ€nsehaut-Soli von Gitarrist R.Drechsler ergibt das ein wohl tempariertes Suhlbecken fĂŒr Kraut-Fans. Als Beispiel sei einer der schönsten deutschen Tracks aus den 70ern, das wunderschöne Fly Bird Fly genannt.
Nochmal kurz zu den Vocals bzw. den Lyrics. Wie viele andere deutschen Scheiben jener Ăra, so "krankt" auch diese Platte an dem recht kraftlosen Gesang. Es wird (nicht immer, aber doch recht oft) mehr erzĂ€hlt, denn gesungen. Was widerum zu den erstaunlich sozialkritischen und bezogen auf das Hier und Jetzt prophetischen Texten des Albums passt. "What can a poor boy do but to be a streetfighting man? Because we all know the people we're working for earn a thousand times more" oder "I see millions of people are paranoid, I see blind eyes and deaf ears, I see politicians never saying the truth, I see people dying, I see soldiers fighting....and I see that all this is important for the economy", hier bekommt jeder sein Fett ab.
Eine erstaunliche Platte, in allen Belangen.
Pavlos hat geschrieben:Sehr schöner Beitrag!!
Ich finde, dass diese tolle Band viel zu oft unerwĂ€hnt bleibt, wenn es um hervorragend gemachten 70er (aber auch 80er) Prog aus Deutschland geht. Allein schon der wunderbare Titeltrack des DebĂŒts rechtfertigt einen Platz in einer solchen Auflistung. MĂ€rchen-Prog geht nicht viel besser, und auch wenn das natĂŒrlich alles von den great old ones des Genres beeinflusst wurde, mĂŒssen sich die Stuttgarter nicht vor eben jenen verstecken...
Unbedingt auch Piktors Verwandlungen (1981) anhören, auf dem ein 1925 veröffentlichtes MĂ€rchen von Hermann Hesse in einem einzigen langen StĂŒck vertont wurde. Hier verschmelzen Musik und Texte zu einem intensiven Erlebnis, das man sicherlich auch wunderbar auseinanderanalysieren und wieder zusammensetzen kann. Nerds, this is a call to arms!!
lewstherin hat geschrieben:Nachdem weiter oben der Zweitling vorgestellt wurde, möchte ich hier ein paar Worte ĂŒber Anyone's Daughters Erstling, Adonis, verlieren, den ich ja ĂŒber das 70s Wichteln kennengelernt habe.
ANYONE'S DAUGHTER - Adonis (Deutschland 1979)
I Weep for Adonais, he is dead!
Oh, weep for Adonais! Though our tears
Thaw not the frost which binds so dear a head
Neben meinem BedĂŒrfnis, meiner Liebe zu diesem Album Ausdruck zu verleihen, leitet mich auch ein Gedanke der Transparenz. In meiner LP, Wiederveröffentlichung von 2014 (leider auch mit dem anderen Cover), steht allerlei Interessantes ĂŒber Bandgeschichte und Entstehung des Albums, sowie, dass ein Freund der Band, Konrad Becker, verantwortlich fĂŒr den Text, seine Gedanken und GefĂŒhle in die mythologische Figur des Adonis hineinprojiziert hat.
Wie ich allerdings beim Studium der Texte, und Recherche ĂŒber gewisse Phrasen herausgefunden habe, ist Adonis eine Verarbeitung eines Gedichts von Percy B. Shelley: Adonais. Bald habe ich mir einen Sammelband der groĂen englischen Dichter der Romantik gekauft, in dem auch dieses enthalten ist.
Mit Adonais verarbeitet Shelley den Tod seines Freundes und Kollegen Jon Keats, (nicht nur) seiner Ansicht nach der reinste Dichter der Romantik, doch fragil und verletzlich, und der harschen Kritik an seinem Werk nicht gewachsen, was Shelley mitverantwortlich macht fĂŒr Keatsâ frĂŒhen Tod an Tuberkulose.
Dass Anyoneâs Daughter die deutsche Variante Adonis wĂ€hlten, schreibe ich einfach mal der erhöhten ZugĂ€nglichkeit fĂŒr deutsches Publikum zu, wer weiĂ ob ich da richtig liege. Jedenfalls erleichtert es fĂŒr mich hier die Unterscheidung.
Ich bin gerade dabei, die Textbausteine von Adonis den Versen von Adonais zuzuordnen. Lange bin ich noch nicht so weit, das Gedicht zu begreifen, englische Poesie stellt fĂŒr mich eine Herausforderung dar, und tatsĂ€chlich wirkt der Text von Adonis fĂŒr mich mittlerweile zusammengestĂŒckelt. Nicht leugnen kann ich aber, dass der lyrische Hintergrund bereits jetzt meine Bindung zur Musik intensiviert, der ich mich fortan widmen möchte.
Denn lange, gerechnet in Umdrehungen, bevor ich mich mit Shelley beschĂ€ftigt habe, bin ich Anyoneâs Daughter schon verfallen. Adonis, der Titeltrack, viergeteilt, fĂŒllt die ganze A-Seite aus:Part I: Come Away: Eine Einladung und EinfĂŒhrung in die Welt, die musikalisch heraufbeschworen wird. Alle Trademarks sind bereits zu finden: Ein Klangteppich zum WohlfĂŒhlen, immer wieder wundervolle Leadgitarren, ein konsistentes sowie abwechslungsreiches Songwriting, das, ohne viertelĂŒbergreifende Wiederholungen zu benötigen, Adonis als Ganzes begreifen lĂ€sst.
Part II: The Disguise: Kurz, nach vorne marschierend, hier tut sich besonders das starke, manchmal etwas hektisch anmutende, Drumming hervor.
Part III: Adonis: Das HerzstĂŒck, zauberhafte Melodien, ich muss es noch einmal hervorheben. SchlieĂlich etwas eskalative Synth-Geilerei, ohne entspannt zielgerichtete Songwriting zu stören.
Part IV: Epitaph: Noch einmal wird groĂe Melancholie geweckt, hier findet Adonis sein sanftes Ende.
I am borne darkly, fearfully, afar
Whilst, burning through the inmost veil of Heaven,
The soul of Adonais, like a star,
Beacons from the abode where the Eternal are
Wie kann eine B-Seite nicht verblassen gegen dieses Meisterwerk? Und doch, sie bietet den richtigen Kontrast, ohne sich dem Klangbild zu entfremden. Blue House ist ein gĂ€nzlich entspanntes InstrumentalstĂŒck, das sich auf das Haus bezieht, das Anyoneâs Daughter damals gemeinschaftlich bezogen (scnr).
Und wĂ€hrend ein Freund, dem ich Adonis zeigte, meint, dass Adonis auf ihn, wie klassische Musik, durchkomponiert wirke, bin ich davon ĂŒberzeugt, dass ein Lied wie Blue House nur beim unvoreingenommenen gemeinschaftlichen Musizieren entstehen kann, und nur so funktionieren kann. Es weckt in mir Sehnsucht nach der Idylle, Teil einer funktionierenden Band zu sein, eine Vorstellung, die die RealitĂ€t natĂŒrlich nie erfĂŒllt.
Sally ist dann ein kleines feines poprockiges Lied, das fĂŒr mich hier Sinn macht, aber niemals an die anderen StĂŒcke heranreichen kann. Beschlossen wird das Album mit dem bandeigenen Signature-Song, dem Highlight der B-Seite, Anyoneâs Daughter! Hier wird wieder auf Adonis-Niveau musiziert, fantastisch!
Und damit möchte ich meinen Sermon auch beenden. FĂŒr mich ist Adonis zu einem wichtigen Album geworden, und als Draufgabe der Anlass gewesen, mich auf englische Dichtung einzulassen, mit der man als Metal-Fan ja immer wieder BerĂŒhrungspunkte hat.
lewstherin hat geschrieben:Und nun die wichtigste Frage: Wie ist "In Blau"?
Pavlos hat geschrieben:lewstherin hat geschrieben:Und nun die wichtigste Frage: Wie ist "In Blau"?
Anders. Aber das gilt ja irgendwie fĂŒr alle fĂŒnf Bandklassiker.
Sie behalten hier den deutschen Gesang bei, klingen stellenweise relativ straight wie auf der selbstbetitelten 1980er Scheibe, haben aber wieder deutlich mehr ausschweifende Passagen am Start. Highlight ist das fĂŒnfzehnminĂŒtige Tanz und Tod, das gefĂŒhlvolle Gitarrenspiel, die super ausgearbeiteten ChorgesĂ€nge, sowie generell die Lyrics der Platte. EIne wundervolle Scheibe, wie sie Anfang der 80er nur in Germany erschaffen werden konnte, die hat dieses ganz spezielle Feeling inne, da hört man sofort wo sie herkommt. I love it!!
Ich lese immer wieder, dass viele Menschen, darunter die AD Musiker selbst, In Blau als den Höhepunkt der Band ansehen. Dem wĂŒrde ich nicht widersprechen wollen...
Flossensauger hat geschrieben:Das ist ja alles ganz nett hier, aber darf ich mal beizeiten an Gentle Giant erinnern?
Das ist ĂŒbrigens live, was die da machen. Nur mal so zur Anregung.
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